Die Permanenz der ökonomischen Krise, der Vertrauensverlust in politische Institutionen, ein Mangel an richtungsweisenden Visionen und die existenzielle Bedeutung der Klimakatastrophe – unsere Gesellschaft stößt an Grenzen. Doch der Kampf um die lebenswerte Zukunft hat begonnen.
Es ist Zeit, umzudenken und eine vitale Debattenkultur zu beleben. Das OHO nimmt sich dieser Aufgabe an und schafft ein entsprechendes Format, um die Möglichkeiten zur sozialen Schubumkehr lebhaft aufzuzeigen. In regelmäßigen Abständen werden wir uns einem expliziten Thema widmen, um neue Perspektiven zu erfahren. Wir laden hierzu zur OHO-Ideenwerkstatt – Konzepte für das 21. Jahrhundert ein. Im offenen Rahmen bitten wir ausgesuchte Expertinnen und Experten, progressive Ideen und Ansätze vorzustellen und anschließend mit dem Publikum in Austausch zu treten.
Den Beginn des neuen Formats macht gleich ein Abend zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“. Die Idee ist dabei so einfach wie radikal: Jede Person erhält regelmäßig einen Geldbetrag, der hoch genug wäre, um den Mindestansprüchen an ein würdevolles Leben zu genügen – ohne dass irgendeine Form der Bedürftigkeitsprüfung oder sonstige Verpflichtungen damit verbunden wären, eben ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Helmo Pape, führender Kopf der Grundeinkommensbewegung in Österreich, wird das Konzept präsentieren und darlegen, was genau die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist. Wie sich die ökonomischen Beziehungen zwischen den Menschen ändern würden, wie Freiheit und Sicherheit neu gedacht werden könnten, welche internationalen Erfahrungen bereits gemacht wurden und warum das bedingungslose Grundeinkommen die bestehende Demokratie effektiv weiterentwickelt. All das wird zum Gegenstand des Vortrags und bildet den Rahmen für die anschließende Diskussion, die von Susanne Sterniczky moderiert wird.
Eintritt: Frei
GRUNDEINKOMMEN.
BEDINGUNGSLOS.
Interview mit Dr. phil. Aaron Sterniczky, der im OHO eine Zukunftswerkstätte unter dem Titel „OHO-Ideenwerkstatt – Konzepte für das 21. Jahrhundert“ organisiert. Der intellektuelle Tausendsassa ist nicht nur beruflich äußerst engagiert, sondern betätig sich auch politisch und gesellschaftlich in zahlreichen Organisationen und Vereinen, unter anderem auch im Verein Generation Grundeinkommen.
Lieber Aaron, du hast beschlossen dich im OHO für Zukunftsfragen einzusetzen und als ersten Schritt eine Veranstaltung zum bedingungslosen Grundeinkommen organisiert. Du engagierst dich ja schon länger für dieses Thema?
Das bedingungslose Grundeinkommen erscheint als wegweisender Ansatz, der mich seit einiger Zeit intensiv beschäftigt. Worum geht es dabei? Jedes Mitglied einer Gesellschaft erhält monatlich einen Geldbetrag, der ausreichend sein muss, um den Mindestansprüchen an ein würdevolles Leben zu genügen – und das bedingungslos. Es gibt weder Bedürftigkeitsprüfung noch Gegenverrechnung, keine Verpflichtungen oder Vorgaben. Jeder und jede bekommt es. Einfach so. Es handelt sich um den finanziellen Sockel, der als verbrieftes Grundrecht Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Wichtig dabei, wir sprechen von einem Grundeinkommen. Hinzuverdienen lässt sich so viel wie gewollt, aber auch zu Zumutungen lässt sich kategorisch Nein sagen.
Das bedingungslose Grundeinkommen hat in Zeiten einer konservativen Wende keinen sehr guten Stand. Es gilt eher der Satz „Leistung muss sich wieder lohnen“ oder „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Wie siehst du das?
Die Logik der Gegenwart möge bitte ewig fortdauern. Was vermeintlich nach Verantwortungsbewusstsein klingt, zeigt in Wirklichkeit ein Unverständnis der digitalen Transformation und die Realitätsverweigerung der ökologischen Katastrophe an. Wir leben in einer transformativen Ära und die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen erlebt eine globale Blüte. Interessanterweise geht es in der Diskussion über das Grundeinkommen nur zweitrangig ums Geld. Nachweislich werden Menschenbilder abgerufen und verhandelt. Verstehen wir den Menschen als ein Wesen, bei dem es Zwang und Drohung braucht, um tätig zu werden? Oder handelt es sich um ein Geschöpf, das aus sich heraus sinnvoll, schöpferisch, zivil und eigenständig handeln wird? Folgen Sie der ersten Auffassung, dann werden Sie vermutlich nicht beim Grundeinkommen landen.
Um konkret zu sein, was versteht man unter einem bedingungslosen Grundeinkommen und wie hoch sollte das sein?
Es existieren vier unverzichtbare Kriterien, die einem bedingungslosen Grundeinkommen eigen wären. Erstens: Es ist an die Einzelperson gekoppelt. Zweitens: Es ist universell, also jeder und jede erhält es uneingeschränkt. Drittens: Es wird ohne weitere Verpflichtung oder Vorschriften ausbezahlt. Viertens: Es müsste hoch genug sein, um davon leben zu können. Schlüssel für das Verständnis liegt weniger im Geldbetrag, der ausbezahlt wird, sondern in der konsequenten Bedingungslosigkeit, mit der das geschieht. Das bekommen manche nur schwer in den Kopf. Im Verein Generation Grundeinkommen, den wir vor zwei Jahren gegründet haben und der sich der Bewusstseinsbildung rund um das Grundeinkommen widmet, rechnen wir gegenwärtig mit Modellen von 1000 Euro für jeden Erwachsenen und 500 Euro für jedes Kind in Österreich. Die Finanzierung ginge einfacher, als gemeinhin vermutet wird. Machbar wäre es auf alle Fälle. Wir arbeiten diesbezüglich mit universitären Forschungseinreichungen an Vorschlägen für neue Steuermodelle. Weniger ist es die finanzielle Hürde, die der Entwicklung entgegensteht, sondern eine falsche Vorsicht sich diesem Konzept sozialer Innovation ideell zu öffnen.
Kann man in der heutigen wirtschaftlichen Situation überhaupt für ein Grundeinkommen eintreten?
Die Frage muss meiner Auffassung nach andersrum lauten: Wie lange wollen wir uns eine Gesellschaft ohne Grundeinkommen überhaupt noch leisten? Fragile Demokratien, soziale Schieflage, ein erodierender Mittelstand, Zunahme von Scheinselbstständigkeit, Automatisierung durch technologischen Fortschritt, Ausdünnung ländlicher Regionen, sterbender Einzelhandel und Monopolbildung, dysfunktionale Globalisierung, Klimakatastrophe, Verlust an Artenvielfalt als Folge des Raubbaus an der Natur. Das bedingungslose Grundeinkommen könnte alldem entgegenwirken. Es repräsentiert damit weder ein gemeinschaftliches Manöver nach links oder rechts, sondern bewirkt einen überfälligen Schritt nach vorne hin zu neuer Freiheit, ökonomischer Stabilität und gelebter Solidarität. Es manifestiert eine plausible Antwort auf die Frage, wie sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen im 21. Jahrhundert vorteilhaft gestalten ließen. Das belegen vielfältige Erfahrungen in unterschiedlichen Pilotprojekten.
Im Buch „Was würdest Du tun? Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis” von Michael Bohmeyer und Claudia Cornelsen werden diesbezügliche Fallbeispiele von Menschen dargestellt, die über den Verein „Mein Grundeinkommen“ ein Jahr lang ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000.- € gewonnen haben. Du hast das Buch gelesen, stimmt das mit euren theoretischen Annahmen zum bedingungslosen Grundeinkommen überein?
Das Buch lohnt die Lektüre. Es fasst übereinstimmende Erfahrungen zusammen, die ebenso von anderen Pilotprojekten bestätigt werden. Ein Grundeinkommen veranlasst dazu, das eigene Leben perspektivisch zu denken, gemeinschaftlich tätig zu sein, im Rahmen eigner Handlungsspielräume ethisch zu wirken. Es beflügelt Kreativität, soziale Verbindungen, Eigenständigkeit und Selbstachtung. Der erhaltene Geldbetrag wird oftmals in Bildung investiert, eine eigenständige Unternehmung gefördert, Abhängigkeiten und Geschlechterrollen werden überholt. Personen, die ein Grundeinkommen im Rahmen von Pilotprojekten erhalten, erzählen davon, dass ein Grundeinkommen als Vertrauensvorschuss wahrgenommen wird, und der Wertschätzung möchte man durch sinnvolle Lebensgestaltung entsprechen. Der eigene Beitrag zum größeren Ganzen wird anerkannt und bewertet. In diesem Kontext fällt der entscheidende Satz im Buch: „Es ist nicht wichtig, was die Menschen mit dem Geld machen, sondern was das Geld mit den Menschen macht.“ Es fördert und ermutigt, bekräftigt die Würde der Person, motiviert zur Eigenständigkeit und Selbstverantwortung, merzt Armut aus, schafft Zuversicht dort, wo Zukunftsangst herrscht. Darüber lässt sich ja auf sehr persönlicher Ebene nachdenken: Was würden ich tun, wenn für mein Einkommen gesorgt wäre? Was würde das Grundeinkommen für mich bedeuten? Für meine Familie? Für Freunde, Gegner, Bekannte und Unbekannte? Da erschließt sich die abstrakte Idee sehr konkret.
Dr. phil. Aaron Sterniczky stammt aus Oberwart und studierte in Wien, Warschau, Oxford und München. Als Unternehmensberater, Studienkoordinator für das Fernstudium der Hochschule Bratislava, Studiengangsleiter für zukunftsorientierte MBA-Lehrgänge der ELG E-Learning Group, Vorstand des Think Tanks „Green Economics Institute“ in Oxford, hat er sich international einen Namen gemacht.